In meinem letzten Blog habe ich über Aspekte aus dem Buch Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman geschrieben. Aus aktuellem Anlass und weil das Buch wirklich gut ist, beschreibe ich noch einen weiteren Aspekt, der auch mit einem persönlichen Erlebnis zu tun hat.
Kurz zur Auffrischung: Kahneman teilt das Denken in zwei Kategorien ein. System 1, ich habe das auch als Autopilot beschrieben, arbeitet einfach, schnell und vor allem intuitiv. System 1 erstellt Erwartungen aufgrund bisheriger Erlebnisse und Erkenntnisse, die sich gut eingeprägt habe, also entsprechend verfügbar sind und vergleicht dann die Erwartung mit dem aktuellen Erleben. Meistens stimmt das so ungefähr überein und so kann System 1 jede Menge Hypothesen bilden, die unseren Autopiloten stabilisieren und uns effektiver machen und unser Selbstwert steigern.
Zu meinem persönlichen Beispiel:
Ich bin Schöffe (Laienrichter) am Landgericht München. Dieses Ehrenamt dauert fünf Jahre und ich bin nun im vierten Jahr dabei. Im ersten Jahr hattet ich eher Bagatell-Fälle (Fahrraddiebstahl als Berufungsverhandlung, einfache Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, etc.). Dann wurde es spannender: es kamen Betrugsfälle hinzu. Es gab nicht mehr drei Verhandlungen an einem Tag sondern die Verhandlungen dauerten mehrere Tage. Im letzten Jahr war es eine Bande die Scheckkarten-Automaten der Bank manipulierten und im Frühjahr diesen Jahres eine Körperverletzung mit Todesfolge über sieben Tage.
Bekannte, denen ich von den einzelnen Verhandlungen berichtet habe wähnte dahinter ein System, dass ich mich mit meinem Einsatz bewährt habe für die komplizierteren Fälle. Und mal ehrlich geht es Ihnen beim Lesen dieser Karriere nicht auch so? Aktuell bin ich in einer Verhandlung über 11 Tage. Es geht um Banden-Kriminalität. Deshalb habe ich nun die Richterin angesprochen. Die Antwort: purer Zufall. Als Schöffe habe ich feste Tage, die am Anfang des Jahres gelost werden und die ich dann mitgeteilt bekomme. Und die einzelnen Strafkammern (in München gibt es 27) fordern dann Schöffen in der gelosten Reihenfolge an, die für den jeweils ersten Prozesstag des Verfahrens eingeteilt sind. Alles ein Zufall. Aber unser System 1 liebt Ordnung und sucht nach Mustern. Und findet dann auch welche, selbst dort, wo keine sind.
Ein Tipp:
Wer etwas kritischer sein möchte, für den gibt es im Buch Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman einen Tipp. Wenn wir uns anstrengen, dann kräuseln wir unsere Stirn (Stirnrunzeln). Es geht aber auch umgekehrt. Wenn wir die Stirn runzeln, dann motivieren wir mehr unser System 2 und wir denken intensiver über Themen nach. Es gibt dazu verschiedene Experimente in denen man den Teilnehmern vermeintlich leichte Entscheidungs-Aufgaben gab, die aber erst nach einigem Nachdenken zu einer besseren Lösung führten (als Beispiel sie die Entscheidung Bibliothekar oder Landwirt aus meinem letzten Blog angeführt.
Natürlich können Sie nun bei jeder kleinen Entscheidung die Stirn runzeln und sich kritischer hinterfragen. Tatsächlich gibt auch Daniel Kahneman keine besseren Tipps. Kahneman argumentiert hier, dass man die statistischen (also die wahrscheinlicheren) Daten im Kopf haben muss und und Sie gegen plausible, einfache Muster aus dem System 1 mittels Gewichtung schützen muss. Zitat:
Die wichtigsten Schlüssel zu einem disziplinierten bayesschen Denken lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
– Verankern Sie Ihr Urteil über die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses in einer plausiblen Basisrate.
– Hinterfragen Sie die Aussagekraft Ihrer Informationen.
Beide Regeln sind einfach.
Ich selbst habe immer eine einfache Taktik angewandt: Wenn man vor einer Entscheidung steht, dann gilt es zunächst alle möglichen Varianten zu finden. Und dann geht es als nächstes daran zu entscheiden, welche Varianten denn am wahrscheinlichsten sind. Um bei meinem Schöffen-Thema zu bleiben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine mir bisher geheim gehaltene Akte gibt, welche die Richter über mein Verhalten in der Verhandlung anlegen – viel zu bürokratisch und viel zu wenig nützlich. Deshalb habe ich eigentlich erwartet, dass man mir das alles als Zufall erklärt. Aber die Geschichte hat uns auch gezeigt, dass manchmal viele kleine Zufälle einen Verdacht ausmachen und wenn man dann bohrt, dann kann man sogar Präsidenten stürzen, wie die beiden Journalisten Woodward und Bernstein, die nach dem Einbruch ins Watergate-Hotel die Spuren solange beharrlich folgten, bis Andere darauf aufmerksam wurden und am Ende ein amerikanischer Präsident seines Amtes enthoben wurde. Nicht alles was unwahrscheinlich ist, ist auch unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Zwischenfalls in Kernkraftwerken ist sehr gering. Dennoch bilden Three Miles Island, Tschernobyl und Fukushima eine erstaunlich unwahrscheinliche aber eben doch sehr reale Wirklichkeit.
Und so bleibt am Schluss nur die einfache Erkenntnis: Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf Erden, dass über sein Handeln tiefgehend nachdenken kann. Die Betonung liegt auf „kann“. Das meiste erledigen wir allerdings über unser automatische System 1. Wer sein System 2 stärker trainieren will, wer in Krisen eine Stärkung sucht, der sollte sich einen Coach suchen, der Einen fordert.
Meldung vom Tage: In Simbach wurde ein völlig Betrunkener festgenommen. Er versuchte in „seine“ Wohnung zu gelangen. Aber die Schlüssel passten nicht. Allerdings war er vor kurzem umgezogen (nach Kirchdorf). Alkohol setzt vor allem das System 2 ausser Gefecht (weniger Kontrolle und mehr Enthemmung). Und so war sich das System 1 sicher, am richtigen Ort zu sein und das System 2 lag narkotisiert vom Alkohol im Dämmerzustand.