Burnout? Muss das denn sein?

Vor ein paar Wochen hatte ich die Chance als Assistent bei einem Seminar zum Thema BurnOut dabei zu sein. Und seitdem treibt mich wieder die Frage um, wie kann man BurnOut eigentlich griffig fassen? Ich orientiere mich dabei an einem Buch: Das Burnout-Syndrom: Theorie der inneren Erschöpfung von Matthias Burisch.

Der Begriff „Burnout“

Schon bei der Sinnhaftigkeit des Begriffs scheiden sich die Geister.  Wenn etwas „ausbrennt“, dann ist das ein zügiger Vorgang. („Das Auto fing Feuer und brannte aus.“). Burnout ist aber ein langer Prozess, der sich mindestens über einige Monate, oft über ein Jahr hinzieht. Im Sprachgebrauch ist auch oft unklar, ob mit Burnout ein Prozess oder ein Zustand gemeint ist („Ich hatte einen BurOut“). Eine Diagnose gibt es auch nicht, denn Burnout ist keine anerkannte Krankheit. Alle Krankheiten werden weltweit katalogisiert und beispielsweise im ICD veröffentlicht. Für die Psyche gibt es dann auch noch den DSM. Diese Klassifikation folgt erst immer den Krankheiten und wird oft auch durch ein allgemeines Meinungsbild geprägt. Im vorletzten ICD-9 gab es beispielsweise das Krankheitsbild mit der Nummer 302.0. Das zeigt einmal mehr, wie sehr Krankheiten dem Zeitgeist unterliegen und sich deshalb auch in der Definition ändern können. Ob der IDC-11 irgendwann auch die Symptomatik des BurnOuts besser spezifiziert muss man abwarten.

Burrisch hat aus den eigenen Erfahrungen mit dem Phänomen BurnOut und einem kleinen Querschnitt durch die Fachliteratur folgenden Ablauf vorgeschlagen:

  • Kategorie 1: Übereifer – es beginnt ganz harmlos, indem der Patient sich übermässig in die gestellten Aufgaben reinhängt und das nicht einmalig, sondern wiederholt.
  • Kategorie 2: Frust – Übereifrige stossen an irgendwann an ihre Grenzen – Erfolg wandelt sich in Kritik und aus Übereifer wird Frust
  • Kategorie 3: Aggression – Man hat sein bestes getan und nichts wurde anerkannt – jetzt braucht es Schuldige
  • Kategorie 4: Abbau – mit dem Frust und der Wut sinkt die eigene Kreativität, der Lebensmut
  • Kategorie 5: Verflachung – man macht sich zunehmend kleiner – zieht sich zurück von Familie und Freunde
  • Kategorie 6: Psychomsomatische Krankheiten kommen dazu – die Psyche erreicht den Körper
  • Kategorie 7: Verzweifelung – hier wird dann oft die Erschöpfungsdepression diagnostiziert und die steht nun wieder im ICD und ist abrechenbar

Man sieht also, dass erst der völlige Zusammenbruch einen Mediziner auf den Plan ruft. Vorher kann man natürlich auch wegen der oftmals auftretenden psychosomatischen Erkrankungen eine Krankschreibung vornehmen. Aber bis zu einer Erschöpfungsdepression sollte es im Idealfall nicht kommen.

aus: Apotheken-Umschau 11/2012

In der aktuellen Apotheken-Umschau gibt es ebenfalls einen interessanten Bericht zum Thema BurnOut. Dort wird der Verlauf in den BurnOut in 12 Stadien geschildert. Mir gefällt an dieser Einteilung. Sie nimmt Bezug auf eine sehr gute Zusammenfassung. Besonders der grüne Bereich ist natürlich etwas, was man als Unternehmer nicht unbedingt als BurnOut-Warnsignal ansehen möchte: Sich ständig beweisen zu wollen ist etwas, dass man auch als gesunden Ehrgeiz bezeichnen kann.

Wir brauchen eine gewisse Herausforderung. Der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi hat den Flow zwischen Unterforderung und Überforderung entlang unserer Fähigkeiten beschrieben. Dabei stehen Anforderung und Fähigkeit im ausgewogenen Verhältnis, so dass keine Langeweile oder Überforderung entsteht und wir haben das Gefühl von Kontrolle über unsere Aktivität. Hier wäre ein „Keep the fire burning“ als Motto angebracht.

Die Psychologie kennt vier Grundbedürfnisse, die diesen Kreislauf in Gang halten (u.a. auch in Grawe: Neuropsychotherapie). Dazu gehören:

  • Bindung (im Unternehmens-Jargon: Loyalität des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern und umgekehrt) – hier spielt der Vorgesetzte und das Klima in der Abteilung eine wichtige Rolle (für Unternehmer: so etwas kann man über eine gelebte Firmenkultur steuern)
  • Selbstwert – das ist eigentlich ein Innenwert eines jeden Menschen – der kann aber nachhaltig durch Externes gestört werden; durch Vorgesetzte, aber auch durch Arbeitsabläufe (wenn die Arbeit nicht mehr zu bewältigen ist)
  • Selbstwirksamkeit – wir wollen, dass unsere Arbeit anerkannt wird. Gecancelte Termine oder ganze Projekte, auf die man angewiesen ist, stellen das in Frage
  • Lust an der Arbeit – wenn die Arbeit Spaß macht, dann geht sie einfache leichter, man ist kreativer und das zahlt sich in Summe aus

Wir haben kaum eine Chance in den BurnOut zu kommen, wenn diese vier Faktoren für die Arbeit und auch für das  gesamte Leben gelten. Wir schaffen etwas, haben Erfolg, das wird anerkannt und schon macht die Arbeit in diesem Umfeld Spaß. Aber so kann es nicht immer sein. Kein Vorgesetzter kann es allen Mitarbeitern immer recht machen. Keine Firmenkultur kann für immer eine konfliktfreie Atmosphäre herstellen. Umgekehrt gilt für den Mitarbeiter die Macht der Gewohnheit. Wenn etwas läuft, dann ändern wir am besten nichts und wenn es nicht mehr 100% so läuft, dann versuchen wir eher den alten Zustand wieder herzustellen.

Änderungen passieren ständig. Es ändert sich das Umfeld und auch der Mensch selbst und das manchmal eher unscheinbar und unmerklich oder man unterschätzt Veränderungen in seiner Auswirkung. Im Modell ist das dann Stadium 5 und 6: man beginnt die Dinge umzudeuten und verleugnet die auftretende Probleme. In meinem Modellbild kommt es zu Verwirrung, weil die Dinge nicht mehr so sind wie man es erwartet hätte, zu Frust, weil man die Veränderung nicht mag, zu einer Externalisierung von Schuld (die Anderen, der Boss, die neue Leitung, der Kunde, die wirtschaftliche Entwicklung, die Regierung, etc.).

Hier erweitert sich der Kreis der Betroffenen/Beteiligten (die Personalabteilung wird eingeschaltet und oft auch die Arbeitnehmervertretung). Jetzt ist Verhandlungsgeschick gefragt. Deshalb ist hier Mediation eine gute Wahl der Personalabteilung und des Betriebsrats. Kommt es zur Klärung, so kann der Mitarbeiter wieder Hoffnung schöpfen und mit neuer Energie ans Werk gehen. Aber das ist natürlich keine Lösung, die den Mitarbeiter vor BurnOut schützt. Und verfehlt die Mediation ihre Wirkung, dann beginnt der Abstieg in die Verflachung (Dienst nach Vorschrift, Einschränkung der Sozialkontakte) und spätesten jetzt zeigen sich psychosomatische Beschwerden als hartnäckig (Herz-, Magen-, Darm-, Rückenprobleme, Kopfschmerzen, etc.). Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Verzweifelung und damit zu einer klinischen Depression).

Mediation – ist das alles?

In der aktuellen Apotheken-Umschau wird in dem Bericht vor allem auf eine Störung der Eigenwahrnehmung im BurnOut-Prozeß hingewiesen. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Menschen, die in so einem BurnOut-Prozess stecken, erleben Verletzungen der vier Grundbedürfnisse sehr intensiv.

  • Selbstwirksamkeit: Da wird jemanden das Projekt entzogen oder neue Kunden zugeteilt und die gepflegten Kundenbeziehungen an jemand anders übergeben oder die Wirtschaft spielt nicht mit und der beste Kunde kann nun keine weiteren Aufträge vergeben
  • Bindung: Jahrelang hat man sich für die Firma geopfert und nun kommt dieser neue Chef und alles geht den Bach runter. Das ist nicht mehr meine Firma.
  • Selbstwert: Jetzt hat mich die Firma so kaputt gemacht, jetzt bekomme ich gar nichts mehr richtig hin
  • Und das dieser Job natürlich keinen Spaß mehr macht ist bei diesen Beispielen, die ich hier gerade aus meiner Praxis beschrieben habe schon nicht mehr erwähnenswert.

Jetzt ist es für den Betroffenen extrem wichtig, dass er wieder zu seinen eigenen Werten und Lebensinhalten findet. Aber das kann man in der Mediation in einem Personalgespräch nur schwer erreichen. Gerade wenn die Eskalation schon die Personalabteilung und den Betriebsrat auf den Plan gerufen haben. Dann sind die Fronten verhärtet. Hier ist dringend eine Unterstützung für den Betroffenen geboten um ein weiteres Abdriften in den BurnOut-Prozess zu verhindern. Das gebietet schon die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Perspektiv-Coaching

Was der Betroffene jetzt braucht ist ein umfassendes Verständnis seiner Gesamtsituation. Daraus kann er dann neue Handlungsalternativen entwickeln. Dazu muss er aber aus der Stress-Situation rauskommen können. Und genau hier setzt mein Perspektiv-Coaching an. Es geht nicht darum die aktuelle Situation im Unternehmen noch einmal aufzuarbeiten – das kann man im Coaching auch machen, um beispielsweise neue Verhaltensmuster im Umgang mit dem Vorgesetzten zu erarbeiten und zu verfestigen. Für mich ist das der zweite Schritt. Der erste geht über eine sorgfältige Analyse der Gesamtsituation des Klienten. Das hört sich nach viel Arbeit und viele Stunden an. Tatsächlich kann man aber ein erstes Bild seiner Gesamtsituation in zwei Sitzungen erreichen. Das ist keine Magie, sondern beruht auf meiner Erfahrung und meinem „handwerklichen“ Können als Coach.
Neugierig geworden? Dann melden Sie sich doch mal unverbindlich bei mir.

Übrigens: Einige Arbeitgeber finanzieren das Coaching für den Mitarbeiter. Fragen Sie doch mal in der Personalabteilung nach. Und wenn nicht, dann freue ich mich auch hier auf jeden Kontakt.

Glücklicher im Hier und Jetzt!

In diesem Blog stelle ich ein Forschungsergebnis der sogenannten Glücksforschung vor, das kurz und prägnant ist.

Glück? Zufriedenheit? Happiness!

Die Glücksforschung hat ein Problem: Was ist denn eigentlich „Glück“? Interkulturell und vor allem sprachübergreifend wird es noch komplizierter. Die Amerikaner sprechen von „happiness“ im Gegensatz zum „luck“. Nun passt im Deutschen das glückliche Leben eher zu „happiness “ und das Lotto-Glück eher zu „luck“.

Aber die amerikanischen Wissenschaftler machen es sich da einfach: auf der Seite „Track your happiness“ kann man entweder auf der Website oder per iPhone-App seine Befindlichkeit äussern. Eine Frage ist dabei: „How do you feel right now?“ und man kann einen Schieberegler zwischen „Very bad“ und „Very good“ frei bewegen. Und dann fragt man auch danach, ob sie derzeit auf das aktuelle Tun konzentriert sind oder an etwas Anderes gedacht haben. Im letzteren Falle hat man noch genauer gefragt, ob man an etwas Schönes, Neutrales oder Unschönes gedacht hat.  Ausserdem kann man aus einer reichhaltigen Liste von Möglichkeiten auswählen, was man aktuell gerade gemacht hat.  Das ist schon alles. Gerade mittels der App kann man die Teilnehmer immer wieder auffordern aktuell seinen aktuellen Stand mitzuteilen. In diesem Falle hatte man über 650.000 einzelne Befragungen von 15.000 Personen aus über 80 Länder gesammelt und vor allem auch mit einer großen Verteilung über Faktoren, wie Einkommen, Familienstand, Alter, Bildung, etc.

Glücklich im Hier und Jetzt

Das Ergebnis ist eindeutig: Wer gerade auf die aktuelle Aufgabe konzentriert ist, legt den Schieberegler im Durchschnitt auf ungefähr 66. Wer gerade in Gedanken woanders war, der liegt nur bei 57. Das ist 9%-Punkte niedriger. Warum ist das so? Nimmt man die Unterteilung nach dem Unschönen, Neutralen und Schönen hinzu, dann zeigt sich ein erstaunliches Ergebnis:

Wir sind nur bei 42 auf der Skala, wenn wir an Unschönes denken und bei 58, wenn wir an etwas Neutrales denken. Selbst wenn wir an etwas Schönes denken sind wir noch 1%-Punkt niedriger in der Skala. Mit anderen Worten, wer seine aktuelle Aufgabe erledigt und mit den Gedanken ganz bei der Sache ist, der ist glücklicher. Ein weiterer Fakt ist in den Daten versteckt. Neutrales (58) liegt ja etwa auf den Durchschnitt (57). Wenn wir abschweifen, dann denken wir doppelt so oft an etwas Unschönes.

Korrelation oder Ursache->Wirkung?

Eine spannende Frage ist allerdings immer ob dieser Zusammenhang von abschweifenden Gedanken und Unzufriedenheit eine Ursache -> Wirkung darstellt. Schweifen wir ab und werden unglücklich oder sind wir unglücklich und schweifen dann ab? Hier kann das Experiment auch eine Antwort geben, denn man hat ja mehrere Momentaufnahmen, die man aneinanderreihen kann. Wer abschweift wird mit hoher Wahrscheinlichkeit beim nächsten Mal unglücklicher sein. Umgekehrt gibt es keinen Zusammenhang zwischen weniger glücklichen Momentaufnahmen und einem Abdriften der Gedanken beim nächsten Mal.

Dieses Experiment unterstützt einmal mehr die verschiedene anderen Ergebnisse der Forschung zum Thema „happiness“. Mihaly Csikszentmihalyi hat seine Theorie zum  „Flow“ genau daran festgemacht. Neben einigen anderen Faktoren gehört es auch, sich auf das Tun zu konzentrieren. Und viele Entspannungsübungen zielen auf die Konzentration auf eine bestimmte Sache ab (beispielsweise, wenn man sich nur auf den eigenen Atem konzentriert).

Was bedeutet das?

Je mehr wir bei der Sache sind, desto besser fühlen wir uns. Das bedeutet sicher nicht, dass wir nicht mehr in die Zukunft planen sollen oder aus der Vergangenheit nichts mehr lernen. Es kann aber für die eigene Psyche ausgesprochen hilfreich sein, wenn man sich öfter auf die aktuellen Dinge konzentriert. Und weil gerade das Duschen eines der Gelegenheiten ist, wo wir am ehesten abschweift, kann man beim nächsten Mal vielleicht das Duschen als solches geniessen. Kleinere Konzentrationsübungen helfen uns über den Tag bei der Sache zu bleiben. Besonders interessant ist es mal zu probieren, wie man das Essen der Kantine wahrnimmt, wenn man sich auf den Geschmack konzentriert, denn normalerweise nehmen wir unseren Geschmackssinn nur wahr, wenn etwas nicht schmeckt. Je mehr Momente des Gewahrwerdens was jetzt gerade ist, die wir in unser Leben einbauen, desto zufriedener werden wir.

Grundlage dieses Blogs ist eine TEDxCambridge-Vortrag von Matt Killingsworth.

Schnelles Denken

In meinem letzten Blog habe ich über Aspekte aus dem Buch Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman geschrieben. Aus aktuellem Anlass und weil das Buch wirklich gut ist, beschreibe ich noch einen weiteren Aspekt, der auch mit einem persönlichen Erlebnis zu tun hat.

Kurz zur Auffrischung: Kahneman teilt das Denken in zwei Kategorien ein. System 1, ich habe das auch als Autopilot beschrieben, arbeitet einfach, schnell und vor allem intuitiv. System 1 erstellt Erwartungen aufgrund bisheriger Erlebnisse und Erkenntnisse, die sich gut eingeprägt habe, also entsprechend verfügbar sind und vergleicht dann die Erwartung mit dem aktuellen Erleben. Meistens stimmt das so ungefähr  überein und so kann System 1 jede Menge Hypothesen bilden, die unseren Autopiloten stabilisieren und uns effektiver machen und unser Selbstwert steigern.

Zu meinem persönlichen Beispiel:

Ich bin Schöffe (Laienrichter) am Landgericht München. Dieses Ehrenamt dauert fünf Jahre und ich bin nun im vierten Jahr dabei. Im ersten Jahr hattet ich eher Bagatell-Fälle (Fahrraddiebstahl als Berufungsverhandlung, einfache Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, etc.). Dann wurde es spannender: es kamen Betrugsfälle hinzu. Es gab nicht mehr drei Verhandlungen an einem Tag sondern die Verhandlungen dauerten mehrere Tage. Im letzten Jahr war es eine Bande die Scheckkarten-Automaten der Bank manipulierten und im Frühjahr diesen Jahres eine Körperverletzung mit Todesfolge über sieben Tage.

Bekannte, denen ich von den einzelnen Verhandlungen berichtet habe wähnte dahinter ein System, dass ich mich mit meinem Einsatz bewährt habe für die komplizierteren Fälle. Und mal ehrlich geht es Ihnen beim Lesen dieser Karriere nicht auch so? Aktuell bin ich in einer Verhandlung über 11 Tage. Es geht um Banden-Kriminalität. Deshalb habe ich nun die Richterin angesprochen. Die Antwort: purer Zufall. Als Schöffe habe ich feste Tage, die  am Anfang des Jahres gelost werden und die ich dann mitgeteilt bekomme. Und die einzelnen Strafkammern (in München gibt es 27) fordern dann Schöffen in der gelosten Reihenfolge an, die für den jeweils ersten Prozesstag des Verfahrens eingeteilt sind. Alles ein Zufall. Aber unser System 1 liebt Ordnung und sucht nach Mustern. Und findet dann auch welche, selbst dort, wo keine sind.

Ein Tipp:

Wer etwas kritischer sein möchte, für den gibt es im Buch Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman einen Tipp. Wenn wir uns anstrengen, dann kräuseln wir unsere Stirn (Stirnrunzeln). Es geht aber auch umgekehrt. Wenn wir die Stirn runzeln, dann motivieren wir mehr unser System 2 und wir denken intensiver über Themen nach. Es gibt dazu verschiedene Experimente in denen man den Teilnehmern vermeintlich leichte Entscheidungs-Aufgaben gab, die aber erst nach einigem Nachdenken zu einer besseren Lösung führten (als Beispiel sie die Entscheidung Bibliothekar oder Landwirt aus meinem letzten Blog angeführt.

Natürlich können Sie nun bei jeder kleinen Entscheidung die Stirn runzeln und sich kritischer hinterfragen. Tatsächlich gibt auch Daniel Kahneman keine besseren Tipps. Kahneman argumentiert hier, dass man die statistischen (also die wahrscheinlicheren) Daten im Kopf haben muss und und Sie gegen plausible, einfache Muster aus dem System 1 mittels Gewichtung schützen muss. Zitat:

Die wichtigsten Schlüssel zu einem disziplinierten bayesschen Denken lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
– Verankern Sie Ihr Urteil über die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses in einer plausiblen Basisrate.
– Hinterfragen Sie die Aussagekraft Ihrer Informationen.
Beide Regeln sind einfach.

Ich selbst habe immer eine einfache Taktik angewandt: Wenn man vor einer Entscheidung steht, dann gilt es zunächst alle möglichen Varianten zu finden. Und dann geht es als nächstes daran zu entscheiden, welche Varianten denn am wahrscheinlichsten sind. Um bei meinem Schöffen-Thema zu bleiben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine mir bisher geheim gehaltene Akte gibt, welche die Richter über mein Verhalten in der Verhandlung anlegen – viel zu bürokratisch und viel zu wenig nützlich. Deshalb habe ich eigentlich erwartet, dass man mir das alles als Zufall erklärt. Aber die Geschichte hat uns auch gezeigt, dass manchmal viele kleine Zufälle einen Verdacht ausmachen und wenn man dann bohrt, dann kann man sogar Präsidenten stürzen, wie die beiden Journalisten Woodward und Bernstein, die nach dem Einbruch ins Watergate-Hotel die Spuren solange beharrlich folgten, bis Andere darauf aufmerksam wurden und am Ende ein amerikanischer Präsident seines Amtes enthoben wurde. Nicht alles was unwahrscheinlich ist, ist auch unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Zwischenfalls in Kernkraftwerken ist sehr gering. Dennoch bilden Three Miles Island, Tschernobyl und Fukushima eine erstaunlich unwahrscheinliche aber eben doch sehr reale Wirklichkeit.

Und so bleibt am Schluss nur die einfache Erkenntnis: Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf Erden, dass über sein Handeln tiefgehend nachdenken kann. Die Betonung liegt auf „kann“. Das meiste erledigen wir allerdings über unser automatische System 1. Wer sein System 2 stärker trainieren will, wer in Krisen eine Stärkung sucht, der sollte sich einen Coach suchen, der Einen fordert.

Meldung vom Tage: In Simbach wurde ein völlig Betrunkener festgenommen. Er versuchte in „seine“ Wohnung zu gelangen. Aber die Schlüssel passten nicht. Allerdings war er vor kurzem umgezogen (nach Kirchdorf). Alkohol setzt vor allem das System 2 ausser Gefecht (weniger Kontrolle und mehr Enthemmung). Und so war sich das System 1 sicher, am richtigen Ort zu sein und das System 2 lag narkotisiert vom Alkohol im Dämmerzustand.