Ein Märchen, die Wahrheit und die Wirklichkeit

Die Headline dieses Blogs klingt etwas merkwürdig. Trotzdem möchte ich mit einem Märchen beginnen (frei nach Jürgen Hargens):

Es war einmal eine Hexe, die schon ziemlich alt war. Und als sie merkte, dass ihre Fähigkeiten zu hexen immer mehr abnahmen beschloss sie in den dunklen Wald zu gehen und sich ein schönes Plätzchen für ihren Lebensabend zu machen.

An einer Stelle, wo der Wald sehr dicht und dunkel war und wo sicher kein Mensch hinkommen kann zauberte sie sich ein Hexenhäuschen mit Lebkuchen als Wände und Dach und Zuckerglasur als Scheiben. Und so lebte sie in den Tag hinein und war zufrieden mit ihrem Werk.

Eines Tages hörte sie wie jemand etwas von dem Lebkuchenhaus abbrach. Sie fürchtete sich und fragte: „Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“ Von draußen kam die Antwort: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind.“ Die Hexe wollte sich aber nicht verulken lassen und ging vor das Haus. Dort traf sie auf zwei Kinder, die sagten, dass sie sich verlaufen haben.

Die Hexe lud sie in ihr Haus und kochte was zu Essen und gab ihnen für die Nacht ein Platz zum Schlafen. Am nächsten Morgen erwischte sie die Jungen, wie er schon wieder etwas vom Lebkuchenhaus abbrach. In ihrer Verzweiflung sperrte sie den Jungen in den benachbarten Stall, der aus Stein war.

Und sofort machte sie sich daran wieder Essen für die Kinder zu machen. So ging das ein paar Tage. Und als sie wieder einmal vor dem großen Backofen stand, da wurde sie von dem Mädchen in den Backofen gestossen und musste jämmerlich verbrennen. Die Kinder aber fanden den Weg aus dem Wald und erzählten von einer Hexe, die sie gefangen gehalten hat.

Die meisten kennen dieses Märchen nicht von Jürgen Hargens, Psychotherapeut aus seinem Buch: Systemische Therapie… und gut: Ein Lehrstück mit Hägar, das ich nur empfehlen kann. Die meisten kennen eher die Version der Gebrüder Grimm.

Und damit bin ich nun beim Thema Wahrheit und Wirklichkeit. In unserem Kopf gibt es das Konzept der Wahrheit. Es sind Wahrnehmungen und Interpretationen, die sich in unserem Denken als „unsere“ Wahrheit etablieren. Grundlage ist unser Vertrauen in unsere Beobachtungsgabe. Ist dieses Weltbild in sich sehr geschlossen udn weit weg von den Vorstellungen der Anderen, dann haben Außenstehende das Gefühl es mit einem starrköpfigen Menschen zu tun zu haben. Charly Sheen, der Schauspieler aus „2 and a half man“ ist momentan so ein Beispiel. Ich wähle aber auch gern Troubadix, der Musiker aus Asterix & Obelix, dessen Sangeskunst von allen anderen im Dorf immer sofort im Keim erstickt wird, der sich selbst aber immer wieder für unwiderstehlich hält.

Philosophisch betrachtet ist unsere Wahrheit im Kopf gar keine Wahrheit. Die Philosophen rätseln eher darum wie man objektive Wahrheit feststellen kann. Aus psychologischer Sicht geht es eher darum Menschen zu helfen, die merken, dass ihre subjektive Wahrheit mit der Wirklichkeit nicht mehr im Einklang steht.

Auch bei „Wirklichkeit“ droht schon wieder Philosophie-Alarm. Und nicht nur das: der radikale Konstruktivismus in der Psychologie stellt infrage ob es denn überhaupt so etwas wie Wirklichkeit gibt. „Die Kernaussage des RK besagt, dass eine Wahrnehmung niemals ein Abbild der Realität liefert, sondern immer eine Konstruktion aus Sinnesreizen und Gedächtnisleistung eines Individuums ist. Deshalb ist Objektivität im Sinne einer Übereinstimmung von wahrgenommenem (konstruiertem) Bild und Realität unmöglich; ausnahmslos jede Wahrnehmung ist subjektiv. Darin besteht die Radikalität (Kompromisslosigkeit) des radikalen Konstruktivismus.“

Woher kommt es eigentlich zu diesen Fehlern in unserem Denken? Da kann man sicher vieles aufzählen. Da haben wir den Aufmerksamkeitsfilter, den ich auf meiner Website verlinkt habe. Zählen Sie doch einfach mal die Ballkontakte der Mannschaft mit den weißen T-Shirts. Sind es 20 oder 22? Und was ist Ihnen noch ausgefallen? Nichts Besonderes? Dann gehören Sie zu den über 60%, die beim zweiten Betrachten des Films ziemlich gestaunt haben.

Ein weiterer Fehler ist die Interpretation. Diese kann jeder bei sich mit dem berühmten Bild „Meine Frau und meine Schwiegermutter“ probieren. Wir können in dem Bild beide Personen erkennen – aber niemals gleichzeitig. Wer das Bild lange einübt kann über seine Gedanken blitzschnell steuern was er sehen will und dann sehen die Augen das. Ein Zeichen, dass die Interpretation in unserem Kopf auch unser „objektives“ Sehen manipuliert. Zum Glück in diesem Fall mal bewusst.

Die Liste der Möglichkeiten, wie unser Gehirn mit seinem Nimbus des „quasi-objektiven“ Wahrnehmens sich/uns immer wieder täuscht, könnte man beliebig verlängern. Tatsache ist, wir haben nur dieses eine Gehirn. Und eine selbstkritische Haltung auch unseren Gedanken gegenüber hilft uns manchen Fehler zu vermeiden. Mit diesem Denkanstoß möchte ich diesen Blog beenden. Ich bin zwar überzeugt, dass die meisten Leser in dem Bewusstsein leben, dass nicht alles im Kopf Wahrheit ist, aber wenn man sich mal umsieht, dann findet Ihr vielleicht ein paar Leute, denen dieser Blog etwas weiterhilft.

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